Hexenwahn, Hexenverfolgung, Hexenverbrennung - für uns heute Lebende kaum vorstellbar, daß diese schrecklichen Ereignisse erst drei Menschenalter zurückliegen sollen. Und doch brannten bis Ende des 18. Jahrhunderts die Scheiterhaufen, fanden unschuldige Frauen den Flammentod.

Eines ist geblieben: Die Faszination des Übernatürlichen. Wie anders ist es erklärbar, daß Charmed, Sabrina, Buffy und Angel längst zu Kultserien geworden sind? Andererseits feierte 2002 Joseph Kardinal Ratzinger seinen 75. Geburtstag. Er ist der heutige Chef der einstigen mittelalterlichen Inquisitionsbehörde, die bis heue nicht abgeschafft wurde. Das Thema Hexen gewinnt wieder an Aktualität: Junge Frauen suchen im Internet-Chat nach Novizenplätzen, professionelle Hexen bieten gegen Bezahlung Ihre Dienste an.

Die Faszination des Übernatürlichen ist so alt, wie die Menschheit. Moderne Forscher nehmen an, daß bereits die Neandertaler der Altsteinzeit, also Menschen die vor fast 100.000 Jahren lebten, kultische Bräuche praktizierten. Vom Cro Magnon Menschen der Jungsteinzeit, der vor 15.000 Jahren phantastische Höhlenbilder malte, gilt dies als sicher erwiesen: Sowohl in der Höhle von Lascaux, als auch in Les Trois Frères finden sich Darstellungen von Zauberern:

Zaubererdarstellung in Les Trois Frères

Die Bibel berichtet uns im Buch Exodus (Ex 7,11) von den Zauberern im alten Ägypten und warnt im Buch Levitikus (Lev 19,26) vor Nachahmung. Auch der Apostel Paulus hielt es in seinem Brief an die Galater (Gal 5,20) für nötig, vor Zauberei zu warnen. Kein Wunder, hatten doch die damals lebenden Römer bereits sechs verschiedene Bezeichnungen für Hexen, deren Bedeutungen den ganzen Bereich zwischen den Extremen saga = weise Frau und malefica = Schadenszauberin abdeckten.

Doch warum kam es erst zu recht später Zeit, im Mittelalter, zur organisierten Hexenverfolgung?

Begeben wir uns gedanklich zurück in eine Zeit, als die Nacht noch nicht von der Elektrizität zum Tage gemacht wurde. Ein rußender Kienspan, eine flackernde Öllampe oder ein knisterndes Lagerfeuer erhellen notdürftig die allernächste Umgebung. Einige Meter entfernt herrscht Zwielicht. Die Flamme wirft flackernde Schatten, haucht toten Gegenständen ein geheimnisvoll zuckendes Leben ein. Dahinter liegt die rabenschwarze Dunkelheit mit all ihren Gefahren und Schrecken.

Dann passiert es: Ein Kind stirbt völlig unerwartet, das für das Überleben der Familie dringend notwendige Kalb kommt mißgebildet zur Welt und verendet, Hagelschauer vernichten die Ernte.

Menschen ergeben sich nicht einfach in ihr Schicksal, sie wollen Erklärungen. Gute Ereignisse konnte man sich durch das segensreiche Wirken Gottes erklären, schlechte als verdiente Strafe. Aber warum traf es immer wieder auch gerechte, gute Menschen? Hier mußte der Teufel seine Hand im Spiel haben!

Weil Gott als Geistwesen so unendlich erhaben und so wenig erfaßbar ist, haben sich die Menschen eine Frau, Maria, zur Mittlerin erwählt. Und weil der Teufel als abgrundtief böses Geistwesen ebenfalls nicht erfaßbar ist, hat man sich wieder eine Frau als Mittlerin ausgedacht: Die Hexe.

Anfangs stellte sich die Kirche dem Hexenglauben vehement entgegen. Der heilige Bonifatius nannte den Glauben an Hexen und Dämonen "unchristlich". Noch 785 wurde in der Heiligen Synode von Paderborn vorgeschrieben, daß Menschen die nach heidnischem Glauben behaupten, es gäbe Hexen, und diese auf dem Scheiterhaufen verbrennen, mit dem Tode zu bestrafen seien. Innerhalb von knapp 500 Jahren kam es jedoch zu einer radikalen Kehrtwendung: 1264 wurde die erste Hexe offiziell verurteilt.

Woher kam dieser Meinungsumschwung? Um das Jahr 1000 kamen in allen europäischen Ländern häretische (d.h. ketzerische) Sekten auf, so daß sich die Kirche gezwungen sah, nach und nach ihre Haltung gegenüber dem Hexenglauben zu ändern. Als 1090 in Freisingen 3 sog. Wettermacherinnen verbrannt wurden, war die Kirche noch dagegen. Doch bereits 60 Jahre später wurde die Verbrennung zur üblichen Strafe für Ketzerei.

Weitere 30 Jahre später, auf dem Lateran-Konzil rief die Kirche die weltlichen Mächte zur Bekämpfung der Ketzerei auf. Dieser Aufruf fiel auf fruchtbaren Boden: Der Glaube an Übernatürliches war der Nährboden, unerklärliche schlimme Erlebnisse der Dünger, den die Saat der Inquisition zum Keimen brauchte. Beides war reichlich vorhanden.

1227 richtete Papst Gregor IX. Inquisitionsgerichte ein, 1251 war die Inquisition bereits auf ganz Italien ausgedehnt, 1252 wurde dir Folter als Mittel zur Wahrheitsfindung anerkannt und so konnte, wie bereits erwähnt, 1264 die erste Hexe offiziell verurteilt werden.

Als 1346 die Pest in ganz Europa wütete, brauchte man erneut eine Erklärung. Neben den Juden waren auch diesmal wieder die Hexen schuld und die Inquisition breitete sich aus, wie vorher die Pest. 1431 endete die Jungfrau von Orleans, Jeanne d′ Arc, auf dem Scheiterhaufen. 1456 erfand Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern. Nun ließen sich Schriften gegen Ketzer und Hexen billig herstellen und fanden weite Verbreitung. 1487 erschien der berühmte "Hexenhammer" (Malleus Maleficarum). Dieses Buch betrachtet die Frau als Hauptfeindin der Kirche. Es enthält genaue Anweisungen zur Prozeßführung und wurde zum Standardwerk der Hexenrichter. Nun hatte der Hexenwahn in seinem vollen Ausmaß auch Deutschland erreicht. Einzelne Gegenstimmen, wie die des Arztes Johannes Weyer, der 1563 in seinem Buch "Über Wunder der Dämonen, Beschwörungen und Vergiftung" die durch Folter erpreßten Geständnisse als schreckliche Fehler anprangerte, verhallten ungehört. Statt dessen häuften sich traurige Rekorde: 1585 ließ der Erzbischof von Trier so viele Frauen als Hexen verbrennen, daß in zwei Dörfern nur noch je zwei Frauen übrigblieben. Der Bischof von Gent ließ innerhalb von nur sechs Wochen mehr als 600 Personen den Feuertod sterben. In Würzburg ließ der Bischof 1630 1.200 Männer und Frauen verbrennen, sein Kollege in Bamberg brachte es im gleichen Jahr auf 600.

Das Verfahren war einfach, aber wirkungsvoll; das Urteil stand stets vor Prozeßbeginn schon fest. Für eine Anklage genügte die Aussage einer beliebigen Person, ohne Beachtung ihrer Glaubwürdigkeit oder Vergangenheit. Beliebte Motive für eine Denunziation waren Haß auf Konkurrenten, Neid, Eifersucht, Geldgier, aber auch religiöser Fanatismus. Oft genügte bereits eine körperliche oder geistige Anomalie als Anklagegrund.

Der eigentliche Prozeß fand vor einem weltlichen Gericht statt. Vor der "peinlichen Befragung", das heißt im Klartext Folter, wurden die Frauen entkleidet und vollständig enthaart. Dann folgten Fragen über Teufelserscheinungen, Sex mit dem Teufel, Schadenszauber, Kindsopfer usw., bis die Angeklagte den körperlichen und geistigen Qualen nachgab und "geständig" war. Als "Belohnung" für ihr Geständnis wurde sie dann enthauptet oder erwürgt, ehe der Scheiterhaufen in Flammen gesetzt wurde.

War eine Frau ausnahmsweise allen Torturen gewachsen, konnte man die Wahrheit immer noch durch "Hexenproben" herausfinden. Bei der Wasserprobe wurde die Hexe gefesselt ins Wasser geworfen. Hexen sind nämlich sehr leicht, damit sie auf ihrem Besen durch die Luft reiten können. Blieb die Frau also an der Wasseroberfläche, war sie Hexe und wurde verbrannt. Ging sie unter und ertrank, war ihre Unschuld erwiesen. Leider hatte sie nichts mehr davon. 1435 kam die Augsburgerin Agnes Bernauer auf diese Weise ums Leben. Auch andere Proben, wie die Tränenprobe oder die Nadelprobe waren stets so angelegt, daß es, egal wie das Ergebnis ausfiel, kein Entrinnen gab.

Wenn eine Frau doch einmal ausnahmsweise frei gesprochen wurde, war sie durch die Folter und den psychischen Streß für den Rest ihres Lebens ein Krüppel.

Glücklicherweise breitete sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts von Italien ausgehend die Renaissance langsam aber sicher über ganz Europa aus. Kritische Vernunft gewann wieder an Bedeutung. Und damit wurde die Zeit reif für einen Mann, dessen Buch "Cautio Criminalis" das Ende der Hexenverbrennung einläutete.

Könnt ihr euch vorstellen, daß im 3. Reich jemand ein Buch gegen die Judenvernichtung geschrieben hätte? So etwas ähnliches hat Friedrich von Spee damals getan. Er war Priester im Jesuitenorden und es war seine Aufgabe, "Hexen" als Beichtvater im Gefängnis zu betreuen und sie auf ihrem letzten Weg zum Scheiterhaufen zu begleiten. Obwohl er selbst durchaus auch an Hexen glaubte, wurde ihm bei diesem grauenvollen Dienst klar: Alle diese Frauen waren unschuldig! Er veröffentlichte also anonym sein Buch, in dem er unter anderem schreibt "Ich wette, daß jeder Bischof und sogar der Papst zugibt, ein Hexer zu sein, wenn er nur richtig gefoltert wird". Falls ihr glaubt, von Spee noch niemals etwas gehört zu haben, dann irrt ihr euch! Er hat unter den Eindruck des Leids dieser Frauen das Adventslied "O Heiland, reiß die Himmel auf" geschrieben, eine verzweifelte Bitte an Gott, diesem schauderhaften Treiben ein Ende zu bereiten. In der ersten Strophe heißt es "reiß ab, wo Schloß und Riegel für" und die letzte Strophe beginnt "Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod".

Offensichtlich wurde sein Wunsch erfüllt. Ihm selbst war es zwar nicht mehr vergönnt, das Ende der Hexenprozesse zu erleben, er starb 1635. Doch schrieb er kurz vor seinem Tod das Weihnachtslied "Zu Bethlehem geboren". Vielleicht ein Zeichen dafür daß er bereits wieder Hoffnung geschöpft hatte und das Ende der Scheiterhaufen voraussah?

Jedenfalls endeten 1684 die Hexenverbrennungen in England, 1745 in Frankreich, 1775 in Deutschland, 1782 in der Schweiz und 1792 in Polen.

Ein trauriges Kapitel in der Geschichte Europas ist zu Ende und mein Referat auch.

Marianne S. Köhler



weitere Informationen zum Thema finden Sie z. B. unter www.anton-praetorius.de

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